Beschreibung
Vorwort Die Romantik als literarische Epoche dauerte etwa von 1795 bis längstens 1850 – Romantik als Lebensgefühl hat sich dagegen in unterschiedlichen Ausprägungen, zuweilen auch Auswüchsen und Deformierungen, bis in die Gegenwart fortgesetzt. Dichter wie Tieck und Novalis, Brentano und die Brüder Grimm, Eichendorff und E.T.A. Hoffmann, daneben auch Maler wie Caspar David Friedrich und Ludwig Richter und nicht zuletzt Komponisten wie Schubert und Schumann, Mendelssohn und Wagner besiedeln und definieren den romantischen Kosmos. Aber auch die zum Teil weit nach dem Ausklang der eigentlichen Romantik entstandenen Fantasiewelten von Karl May oder Michael Ende, die spirituellen Selbstfindungen von Hermann Hesse oder die gleichermaßen von utopischem Idealismus wie gelebter Exzentrik geprägte Performance eines Udo Lindenberg können mit einigem Recht als jeweilige Update-Versionen des romantischen Erbes angesehen werden. Ist die Suche nach der Blauen Blume also eine rein deutsche Angelegenheit? Sicher nicht. Aber die Wurzeln der Romantik stecken so tief im deutschen Boden, dass man – gerade auch von nichtdeutscher Seite – das Phänomen gern im Nationalcharakter verortet sieht, einschließlich der nicht zu leugnenden Kollateralschäden: Kaiser Wilhelm II., Stefan George und Heinrich Himmler (die ansonsten nichts miteinander zu tun haben) gehören auch dazu, leider… Die beiden Kurzdramen HEINRICH VON O. und BLUES FÜR IDILIA nähern sich der Romantik, indem sie bewusst auf typisch romantische Stilmittel und Ideen zurückgreifen: die Vermischung von Formen und Gattungen (Märchen und Novelle, Drama und Lyrik), das Spiel im Spiel, die „romantische Ironie“ als gezielte Brechung der Illusion. HEINRICH VON O., das mit dem Novalis-Roman nur den Namen des Titelhelden und das Motiv der Blauen Blume gemeinsam hat, ist eine Reflexion (und implizite Parodie) des romantischen Künstler-Romans. BLUES FÜR IDILIA spielt ein gleichermaßen von Empathie wie ironischer Distanz getragenes Spiel mit romantischen Grundmotiven und Versatzstücken der Vulgär- und Schauerromantik. Beide Stücke sind primär für die szenische Aufführung gedacht, erschließen sich aber auch – dies ebenfalls typisch romantisch – als „Lesedrama“. Romantik und Musik – eine unendliche Geschichte. Entsprechend kommt der Musik in beiden Stücken eine tragende Rolle zu: im einen Fall in Gestalt gesungener Liedeinlagen, im anderen Fall als teilweise leitmotivisch eingesetzte Bühnenmusik. Als Parallelprojekt zu HEINRICH VON O. sind die beiden Zyklen „Mondblaue Lieder“ und „Divertimento lunatico“ entstanden, die auf der beigefügten CD enthalten sind. Sie stehen in der Tradition des romantischen Lieds bzw. Impromptus und unterscheiden sich – trotz Anleihen bei Rock und Jazz – in Form und Interpretation weitgehend von konventioneller Popmusik. Zur Ausführung HEINRICH VON O. und BLUES FÜR IDILIA können jeweils einzeln als Kammerspiel aufgeführt werden, ergänzen sich aber auch zu einem abendfüllenden Diptychon. Es könnte sich anbieten, beide Stücke mit demselben Personal aufzuführen: der Darsteller des Heinrich übernimmt im zweiten Teil die Rolle des Heine, der Erzähler wird zu Goethe, und die Darstellerin der Frauenrollen spielt die Idilia. Da „der lyrische Doppelgänger“ im ersten Stück als Sänger in Erscheinung tritt und dann gegebenenfalls die gesprochene Partie des Todes zu übernehmen hätte, wäre eine Besetzung mit einem „singenden Schauspieler“ sinnvoll. Die jeweilige Spieldauer hängt nicht unwesentlich von der musikalischen Umsetzung ab. Die Mindestbesetzung sollte in jedem Fall Piano bzw. Keyboard und ein (Holz-)Blasinstrument, z.B. Klarinette und/oder Sopransaxophon, umfassen. Diese Grundbesetzung kann ad lib., beispielsweise durch Schlagzeug und Bass, zur Combo erweitert werden. Der Klangeindruck dieser kammermusikalischen Variante entspricht etwa dem „Divertimento lunatico“ auf der CD. Die Notation erfolgt teilweise in Form eines bezifferten Leadsheets. Entscheidet man sich beim HEINRICH VON O. für die Brassrock- Arrangements der „Mondblauen Lieder“ erhält das Stück eher den Charakter eines Rock-Singspiels und dauert etwa sechzig Minuten, in der kleinen Besetzung fünfzig Minuten. BLUES FÜR IDILIA ist je nach Tempo der Inszenierung fünfunddreißig bis vierzig Minuten lang. Im formalen Crossover von epischen, dramatischen, lyrischen und musikalischen Elementen sowie in der grundsätzlichen Offenheit gegenüber aufwendigen als auch sparsamen Ausstattungs- und Inszenierungsvarianten setzen HEINRICH VON O. und BLUES FÜR IDILIA der interpretatorischen Fantasie keine Grenzen. Aber „Entgrenzung“ ist ohnehin ein Schlüsselbegriff der Romantik… CD: MONDBLAUE LIEDER (Track 1–6) (Text & Musik: Christian Pfarr / Arr.: Thomas Wimbauer) Zaubernacht Märchenwald Arabeske Beschimpfung des Mondes Lamento im Regen Der blonde Planet Matthias Bardong – akustische & elektrische Gitarre Gernot Dechert – Tenor-, Alt- & Sopransaxophon Sabine Diemer – Vibraphon Toninho dos Santos – Trompete Alfredo Karolyi – Fender Rhodes E-Piano, Hohner Clavinet, Akkordeon Ralph Kremer – Trompete & Flügelhorn Stephan Langer – E-Bass & Kontrabass Patrick Leussler – Schlagzeug Dalmá Lima – Congas, Bongos, Timbales, Talking Drums, Darabukka, Afuché, Cowbell, Claves, Vibra-Slap, Tamburin Thomas Wimbauer – Posaune & Baritonhorn Raffaele Wyss – Gesang Aufnahme & Mix: Markus Teske DIVERTIMENTO LUNATICO (Track 7–11) (Text & Musik: Christian Pfarr) Moonshine Rag Nocturne Capriccio Badinerie Danza misteriosa Günter Bozem – Percussion Gerold Keßling – Tenor- & Sopransaxophon René Sciortino – Mundharmonika Ernst Seitz – Piano Raffaele Wyss – Gesang Aufnahme & Mix: Peter Raehse © Wunderkerze – ein Label der Are Musik VerlagsGmbH Mainz. 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