Beschreibung
Franziska Rheinberger wurde als Tochter des Gerichtshalters Anton Jägerhuber am 18. Oktober 1831 auf Schloss Maxlrein in Oberbayern geboren; eine erste Ehe schloss sie 1852, also im Alter von 20 Jahren, mit dem Offizier Ludwig von Hoffnaaß, einer Jugendfreundschaft. Eine Tochter, die aus dieser Ehe hervorging und den Namen Bertha Iphigenia trug, starb im Alter von drei Monaten; Ludwig verstarb am 12. März 1865 an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung. Sein Tod ermöglichte Franziska die Möglichkeit einer Heirat mit dem Komponisten Josef Gabriel Rheinberger – nach einer langen Phase der nur halbherzig kaschierten Dreiecksbeziehung mit dem Komponisten, der sich bereits in den späten 1850er Jahren im Münchner Oratorienverein in Franziska verliebt hatte. Nachdem Franziska eine Ovarektomie im eigenen Heim als Folge eines Krebsleidens überstanden hatte, heiratete sie schließlich am 24. April 1867 Josef Rheinberger im Annakirchlein in Harlaching.
Unter dem Namen Franziska von Hoffnaaß, den sie als Künstlernamen beibehalten sollte, publizierte sie ein breit gefächertes literarisches Werk: 1872 veröffentlicht die in Augsburg erscheinende Postzeitung ihre Studie Eine Sommernacht in Benediktbeuern; ihr erstes Buch trägt den Titel Jenseits des Brenners. Ein Ferienausflug (Würzburg und Wien o.J. [1875]) und schildert die 1874 mit Rheinberger unternommene Reise nach Florenz. Es folgten mehrere Publikationen religiösen Inhalts, schließlich 1882 ein Sammelband Dichtungen und 1888 die Biographie einer Ordensfrau aus dem 17. Jahrhundert (Maria Felicia Orsini, Herzogin Montmorency. Ein Lebensbild, Donauwörth 1888). Ihre letzte Publikation (Am Quell der Wahrheit und des Lebens, Regensburg 1891) ist eine Sammlung geistlicher Sonette.
Unstrittig ist das Verdienst Franziska Rheinbergers um die Dokumentation der Werke ihres Mannes: Sie sammelte Rheinbergers Korrespondenz, bemühte sich um authentische Zeugnisse und biographisches Material zu Rheinbergers Kindheit und führte genaue Verzeichnisse seiner Werke. Alle anderen Tätigkeiten der vielseitig begabten und interessierten Frau gerieten aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlichen Konstellationen in das Visier der Rezeption; darunter wird die kompositorische Tätigkeit Franziska Rheinbergers, aber auch ihr nicht unerheblicher Anteil am Skizzenmaterial ihres Mannes Josef entweder komplett verschwiegen oder kleingeredet.
Die Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek weist Franziska Rheinberger in vielen Fällen eindeutig als Kopistin der Werke ihres Gatten aus. Dabei sind die Aufgaben, die sie in der Erstellung von Material wahrgenommen hat, sehr divers: Sie diente sie ihrem Ehemann als Kopistin seiner Werke im Fall von benötigten Rein- oder Abschriften oder erkennbar oft beim Erstellen von Aufführungsmaterial. Unübersichtlicher ist die Lage im Fall der Lieder. So vermerkt Franziska Rheinberger einen Eigentumsnachweis (»Fanny«) auf der ersten Seite des Autographs der Lieder nach Emanuel Geibel; da die Handschriften der Ehepartner sich sehr ähneln, ist eine klare Taxonomierung kaum möglich. Tatsächlich ist eine ganze Reihe von Franziskas Liedern im Nachlass Rheinbergers in der Bayerischen Staatsbibliothek München überliefert. Ein einziges Lied fand zu Lebzeiten Franziska Rheinbergers den Weg in den Druck: Ihr Lied Annas Gesang wurde vom Verlag von Friedrich Hurter 1868 als Musikbeilage zu August Lewalds Roman Anna publiziert.
Am Ende eines Skizzenkonvoluts Rheinbergers findet sich ein kleines Heft von insgesamt 14 Seiten Umfang. Franziska hat mit diesen Liedern Vertonungen von Gedichten Joseph von Eichendorffs und Ludwig Tiecks vorgelegt; im Fall Eichendorffs greift die Komponistin offensichtlich auf die Gedichte von 1837 und die Gedichte in der Ausgabe letzter Hand von 1841 zurück. Ihr Ansatz ist ein zyklischer – zumal sie in der Auswahl zum Teil nachweislich auf älteres Material zurückgreift: Franziska von Hoffnaaß kompiliert in diesem Manuskript fünf zusammengehörende Lieder. Die Titelseite trägt die Aufschrift »V / Lieder / componirt von / Fanny Hoffnaaß.«. Nicht allein die Wahl des Namens verweist auf eine Provenienz vor dem Tod Ludwig von Hoffnaaß’ bzw. der Ehe mit Josef Rheinberger: Das erste Lied steht im Kontext mit dem Tod eines Kindes – ein Schicksal, das Franziska mit dem Dichter teilte; das Original Eichendorffs erschien unter dem Titel »Auf meines Kindes Tod«. Das zweite Lied trägt bei Franziska den Titel »Im Abendroth.«, während die Originalvorlage Ludwig Tiecks den Titel »Andacht« trägt. Die Vorlagen der beiden folgenden Gedichte hat die Komponistin offen-sichtlich einem Band entnommen: Sowohl »Intermezzo« als auch »Nacht« finden sich in einem 1837 erschienenen Gedichtband Eichendorffs zum ersten Mal. Die Modifikationen, die sie am Text Eichendorffs vornimmt, sind nur sehr zurückhaltend, haben allerdings keine formale Funktion. Eine Reinschrift der Vertonung von Eichendorffs Gedicht Sterbeglocken findet sich in einer der umfangreichen Skizzenkonvolute in der Bayerischen Staatsbibliothek München; das Lied (»für eine Singstimme / in Musik gesetzt«) ist ursprünglich »ihrem Lehrer Jos. Rheinberger in freundschaftlicher Dankbarkeit« gewidmet und mit dem 28. Juni 1858 versehen.2 Die Eingriffe Franziskas in die Textvorlage beschränken sich auf behutsame Modernisierungen. Für das letzte Lied des kurzen Zyklus’ greift Franziska wieder auf ein Gedicht Ludwig Tiecks zurück, nämlich auf das umfangreiche Gedicht »Nacht«. Die Eingriffe in den Originaltext Tiecks sind minimal. Die Abfolge der fünf Haupttonarten folgt einem symmetrischen Prinzip.
In unmittelbarer Nähe entstanden sind zwei weitere Liedkompositionen, die ebenfalls im Nachlass Rheinbergers überliefert sind: Die Vertonung von Hermanns Linggs durch die Vertonung von Johannes Brahms berühmt gewordenen Gedicht »Immer leiser wird mein Schlummer« datiert vom 7. Januar 1858. Das Arbeitsmanuskript mit vielen Änderungen ist zusammengeheftet mit der nur fragmentarischen Vertonung von Mörikes »Maschinkas Lied«, deren Klavierpart kurz vor Ende abbricht. Wie in der ersten Komposition sind viele Striche und offensichtliche Satzfehler (so die zweifelhafte Notation eines verminderten Septakkords in Takt 7 oder die Oktavparallelen in Takt 10) stehengeblieben. Das Lied Der treue Bote hingegen ist erheblich später entstanden: Am Ende des acht Seiten langen Manuskripts steht »Componirt 9 & 10 Januar 1884«. Die Gedichtvorlage stammt vom jesuitischen Dichter Wilhelm Kreiten (1847–1902), ist allerdings nicht in dessen zahlreichen Gedichtbänden nachweisbar; vermutlich stammt sie aus der von Kreiten mitbetreuten Zeitschrift Stimmen aus Maria Laach.
Zu danken ist dem Rheinberger-Archiv im Liechtensteinischen Landesarchiv Vaduz, insbesondere Rupert Tiefenthaler für seine Hilfe, der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, meinem Mainzer Kollegen Axel Beer, meinem Mitarbeiter Johannes Schröder, dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald für ein Fellowship im Studienjahr 2017/2018, in dessen Rahmen die Edition der fünf frühen Lieder entstanden ist, außerdem der Internationalen Josef Gabriel Rheinberger-Gesellschaft für die Unterstützung der Erstausgabe der Lieder von Josef Gabriel Rheinbergers Gattin – sowie dem Are Verlag Köln und Dominik Susteck für die Aufnahme in das Verlagsprogramm.
Mainz, im Frühjahr 2021
Are 2399