Beschreibung
Die Komposition basiert auf dem Gedicht „Der Abend“ (1817) von Joseph von Eichendorff. In seiner romantischen Vorstellung kann der Mensch nur in der Stille des Waldes am Abend zu sich selbst finden und sein Herz bewegen lassen. Einzelne Gedichtzeilen von Richard Dehmel, Alfred Wolfenstein und Georg Heym treten kommentierend sprechend zwischen die Eichendorff-Verse. Die Gedichte der Expressionisten, die gute einhundert Jahre später entstanden sind, wirken wie eine späte Antwort auf die Ängste der Romantiker, die bereits im 19. Jahrhundert die (Welt)Flucht in die Natur als Ausweg von der sich verändernden, auch industrialisierenden, Lebenswelt sahen. Auch hier werden Vorstellungen vom Abend thematisiert, der Kontrast von Stadt und Land, die Erfahrungen des Krieges. Die Texte begegnen sich über den Abgrund der Zeit hinweg dialogisch und verbinden sich zu einer zaghaft hoffnungsvollen Botschaft an die Gegenwart.
Akustische („Schweigt“, „laut“, „Rauscht“) und visuelle („schweifen“, „wetterleuchtend“) Begriffe des Eichendorff-Textes sind die Ankerpunkte für diese Vertonung, die ein sinnliches Klangerleben in den Vordergrund stellt. Mit der Aufspaltung in die Doppelchörigkeit wird ein Mittel zur subtilen Klangdifferenzierung etabliert. Durch die zusätzlich räumliche entfernte Aufstellung werden Klängemöglich, die das Rauschen und Wogen der Bäume und das Wetterleuchten (das ja immer auch ein in der Ferne stattfindendes Phänomen ist) akustisch übersetzen. Dabei werden verschiedenste Techniken erkundet, die Doppelchörigkeit zu nutzen: Ping-Pong-Effekte (die der Popmusik entlehnt sind), Vokalüberblendungen, bitonale Strukturen, rhythmisch unabhängige Klangblöcke. Zahlreichende Glissandi verstärken dabei den Eindruck eines hin- und herwogenden Klanges. Die Worte werden dabei stellenweise in ihre Phoneme aufgelöst und herumgereicht.
Harmonisch spielt die Musik an vielen Stellen auf Klangidiome der Romantik an, besonders deutlich an der Stelle „Alte Zeiten, linde Trauer“ und verweist damit auf ihre eigene Geschichtlichkeit. Techniken wie der Einsatz von Glissando, der Einschub gesprochener Teile und die Collagierung des Klanges dagegen brechen dieses Klangidiom und machen seine Geschichtlichkeit deutlich. Die Klanglichkeit der Romantik, die auch heute noch vielfach als Ideal klassischer Musik angesehen und imitiert wird (z.B. in der Filmmusik), ist eben keine zeitlose Musik, sondern an ein längst vergangenes Lebensgefühl gebunden, das bis heute Sehnsuchtsgefühle und Nostalgie weckt.
Dauer: 6 Minuten, Are D-0218