CD: Orgellabyrinth | Iannis Xenakis: Gmeeoorh, Dominik Susteck | Maximilian Schnaus, Orgel

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Are 7029

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Beschreibung

Orgellabyrinth

dominik susteck (*1977)
orgellabyrinth (2020)
1) spiegelkabinett
2) der rufer
3) runner
4) schwarzes loch
5) unendlichkeit
maximilian schnaus, orgel | organ

iannis xenakis (1922-2001)
6) gmeeoorh (1974)
dominik susteck, orgel | organ

Kunst-Station Sankt Peter Köln
Deutschlandfunk, Red. Frank Kämpfer
Mastering: Stephan Schmidt
Are Verlag Köln

Labelcode 09084
Bestellnummer Are 7029
© & ℗ Are Verlag Köln 2022

Dominik Susteck – Orgellabyrinth
Der fünfteilige Zyklus Orgellabyrinth entstand 2020. Er ist für die Schuke-Orgel der Berliner Sophienkirche, anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums, und für ihren Organisten Maximilian Schnaus geschrieben. Es handelt sich um ein mit 29 Registern auf zwei Manualen verhältnismäßig kleines, neobarock konzipiertes Instrument: Dominik Susteck musste also von vornherein mit bescheideneren klanglichen Möglichkeiten arbeiten, als sie ihm in der Kunst-Station Sankt Peter Köln, seiner langjährigen Wirkungsstätte, zur Verfügung standen. Indessen sind auch seine früheren Orgelkompositionen so eingerichtet, dass sie auch auf kleineren, weniger reich ausgestatteten Instrumenten spielbar sind. Ganz im Sinne seines 2022 in einem Interview geäußerten Wunsches, die zeitgenössische Orgelmusik möge „als etwas Normales“ betrachtet werden, „etwas, das mit uns lebt in der Gegenwart“. Gleichwohl erwartet er, dass der Anstoß, den der Orgelneubau in Sankt Peter gegeben hat, im Orgelbau und in der Orgelmusik fortwirkt: Wie die gut restaurierten, in den Originalzustand zurückversetzten historischen Orgeln die idealen Instrumente für die Orgelmusik zurückliegender Epochen seien, so habe die zeitgenössische Orgelmusik in Sankt Peter „das perfekte Instrument gefunden, mit dem man die Aufführungspraxis Neuer Musik in den Blick nehmen konnte“.

Der erste Satz von Dominik Sustecks Orgellabyrinth trägt den Titel Spiegelkabinett. Er enthält allerdings keine Spiegelungen im eigentlichen Sinne – musikalisch wäre das die exakte Umkehrung einer gegebenen Intervallstruktur. Stattdessen uneigentliche, schiefe, verzerrte Spiegelungen, und scheinbare Parallelbewegungen. Das Spiegelkabinett ist ein Ort richtungsloser Selbst-bezüglichkeit und verzerrter, konditionierter Wahrnehmung – der Anderen wie des eigenen Selbst. Ein gewaltsamer Ausbruchsversuch gegen Ende: Führt er ins Freie? Nur noch schmerzhaft gespannte große Septimen klingen nach.

Der zweite Satz, Der Rufer genannt, ist eine bewegte, mit Zungenstimmen registrierte, in der Partitur als „sprechend“ bezeichnete Solostimme, der wachsender Widerstand begegnet: Hämmernde Akkorde, intervenierende Cluster brechen den Elan des Rufers.

Der dritte Satz, Runner, vermittelt den Eindruck kopfloser Panik. Hämmernd repetierte Sechzehntel, erst Einzeltöne, dann Akkorde, dann tumultuarisch auf- und abbewegte Cluster, die in Triolen und Quintolen gleichsam übereinander stürzen, schließlich Schläge, wirkliche Schläge, mit der Hand auf den Oberschenkel, auf die Orgelbank, ein Riesencluster, der das Chaos quasi „einsaugt“, ein letztes Aufbäumen, dann nur noch Knacken, Klopfen, undefinierbarer Noise. Was bleibt nach diesem Zusammenbruch?

Den vierten Satz hat Dominik Susteck Schwarzes Loch genannt. Wirklich im Sinne der Astrophysik? Oder metaphorisch für den Untergang, ein definitives Ende ohne Wiederkehr? Was erlebt man? Verdichtete Klangmaterie als rauschenden Mahlstrom. Doch dieser Klang ist nicht gänzlich unmoduliert: Der Cluster enthält Auslassungen – das Negativ einer Melodie, eine verlöschende Erinnerung, die auf nichts mehr verweist.

Der fünfte und letzte Satz: Unendlichkeit. Kein Schluss also, sondern ein offenes Ende. Freilich eines, von dem nichts zu erwarten ist: Denn die Unendlichkeit hat keine Form, keine zeitliche und räumliche Begrenzung, also nichts von dem, was wir als die elementaren Voraussetzungen von Leben ansehen müssen. Doch so will Dominik Susteck seinen Schluss nicht verstanden wissen: Die Unendlichkeit ist nur der Seinsgrund, auf dem sich das Leben erneuern mag. Mit dem denkbar zartesten, empfindlichsten Klang verklingt die Musik – dem dreifachen cis eines angestrichenen Weinglases.

Man solle sich vor allzu konkreten, gar politischen Interpretationen von Musik hüten, Musik sei immer zuerst Musik, hat der Komponist Georg Katzer einmal gesagt. Und doch kann kein Zweifel sein, dass Dominik Sustecks Orgellabyrinth sehr bewusst in eine Zeit tiefer Verunsicherung und schwer abzuschätzender Bedrohung hinein geschrieben wurde: Es konfrontiert uns mit unseren Ängsten. Wie finden wir da hinaus?

Iannis Xenakis – Gmeeoorh
Unter den großen Orgelkompositionen des 20. Jahrhunderts ist Gmeeoorh von Iannis Xenakis ein Solitär: Ein elementares Klangereignis, das zugleich eine hochorganisierte, komplex strukturierte Komposition ist. Es ist Xenakis‘ einziges Orgelwerk, entstanden 1974 im Auftrag des Hartt College of Music der Hartford University, Connecticut, für dessen jährliches Festival Neuer Orgelmusik. Uraufgeführt wurde es durch Clive Holloway auf der Gress-Miles-Orgel der South Congregational Church in New Britain, einem mit 81 Registern auf drei Manualen recht großen Instrument. Xenakis‘ sehr detaillierte Registerangaben beziehen sich auf diese Orgel.

Die Komposition beginnt mit einer einstimmigen Linie, die sich in Sekundschritten bewegt, ab Takt 3 tritt eine zweite, ähnlich, aber nicht identisch gestaltete Linie hinzu, sukzessiv lagern sich weitere Linien an: Die Musik verzweigt sich in einem gleichsam organischen Wachstum. Dem entspricht die überaus komplizierte, „chaotische“ Rhythmisierung, der ein zugrundeliegender (als solcher auch nicht vorgezeichneter) Viervierteltakt lediglich als Organisationseinheit dient. Xenakis bezeichnet diese Wachstumsprozesse als „arborescence“. Diese „Verästelung“ oder „Verzweigung“ liegt als Grundprinzip dem Wachstum eines Baumes (lat. arbor) zugrunde und bildet ebenfalls ein Grundprinzip von Xenakis‘ Komponieren.

In mehreren Interviews hat Xenakis archetypische Formen beschrieben, die in der Natur wie in den unterschiedlichsten Künsten und Wissenschaften eine Rolle spielen: Dazu zählen etwa das Baumwachstum und die Wolkenbildung. In einem Interview im Jahr 1989 sagte er: „Ich glaube, das ist etwas, das uns heute fehlt: Eine Theorie über Grundformen. In 20, 30, 40 Jahren wird man vielleicht solche fundamentalen Formen klassifizieren, mitsamt ihren Anwendungsmöglichkeiten und Ausdrucksformen in den verschiedensten Feldern der naturwissenschaftlichen Beobachtung und der Produktion.“ Im Falle der Arboreszenz lassen sich solche Anwendungen etwa in Straßennetzen, Computernetzen, elektrischen Schaltungen, Versorgungsnetzen, chemischen Molekülen oder Organigrammen finden, und nicht zuletzt in der Verzeichnisstruktur von Computer-
Betriebssystemen (directory tree).

Der Verzweigungsvorgang lässt sich bei Xenakis‘ Komposition zumindest am Anfang akustisch sehr gut nachvollziehen: Das Geflecht wird immer dichter, wobei in rapider Bewegung bis zu achtstimmige Akkorde auszuführen sind – und kippt dann abrupt in das Chaos einer reinen Clusterpassage, bei der sämtliche Tasten und Pedale mithilfe von Brettern niedergedrückt werden.
Dieser Vorgang – der Aufbau einer immer komplizierteren und dichteren Struktur, und sein Umschlag in ein chaotisches Geschehen wiederholt sich dann mehrfach über einen deutlich längeren Zeitraum, wobei neben der melodischen Arboreszenz auch andere Methoden der Klangorganisation vorkommen: Etwa als Akkordprogression oder als zweistimmige Staccatopassage über einem liegenden Akkord. Die Schlusssteigerung ist auf vier Systemen notiert und verlangt bis zu achtstimmige Akkorde in rapider Progression – unspielbar, doch der Komponist lässt dem Interpreten einen gewissen Spielraum: Er solle nur so viele Noten spielen, wie ihm möglich ist („toutes les notes possible“). Aus der zivilisierten Fassade der Orgel (und aller vergleichbar hochorganisierter Entitäten) brechen Chaos und Gewalt hervor. Gmeeoorh – was sich liest, wie der Laut eines brüllenden Tiers im Comic, ist, so der Komponist, nichts anderes als ein verzerrtes Anagramm des Wortes „Organon“.

Ingo Dorfmüller

Dominik Susteck – Orgellabyrinth
The five-part cycle Orgellabyrinth [Organ Labyrinth] was composed in 2020 and dedicated to Maximilian Schnaus, the organist of the Sophienkirche in Berlin. The piece was written to celebrate the fiftieth anniversary of the churchʼs Schuke organ, a relatively small instrument of Neo-baroque conception with 29 registers and two manuals. This required Dominik Susteck to employ a more modest sound palette than he was accustomed to at Saint Peterʼs Art Station in Cologne, where he worked for many years. Susteck has now modified many of his earlier compositions so they can be played on smaller, less elaborate instruments. In a 2022 interview, he expressed his belief that contemporary organ music should be “something normal, something that lives with us today.” At the same time, he expects that the opportunities offered by contemporary instruments such as the one in St. Peterʼs will continue to influence composers and organ builders: just as historical instruments restored to their original specifications are the ideal instruments for music from earlier epochs, the organ in St. Peterʼs is “the perfect instrument with which to focus on the performance practices of New Music.”

The first movement of Susteckʼs Orgellabyrinth has the title Spiegelkabinett [Hall of Mirrors]. It does not contain any mirroring in the traditional musical sense – the exact inversion of a given intervallic structure. Instead, there are skewed, distorted, unreal mirrorings and apparent parallel movement. The “Hall of Mirrors” is a place of disoriented self-reflection and distorted perceptions – of others as well as oneself. At the end, there is a violent attempt at escape: does this lead to liberation? We only hear the painful tension of resonating major sevenths.

In the second movement, Der Rufer [The Caller], an animated solo voice – marked “speaking” in the score and using reed registers – encounters increasing resistance: hammering chords and intervening clusters darken the spirit of the caller.

The third movement, Runner, gives an impression of hysterical panic. Pounding repeated sixteenths: first single notes, then chords, then tumultuous ascending and descending clusters that fall over one another with triplet and quintuplet rhythms and finally come to blows, with the player literally hitting his or her thighs and the organ bench. This is followed by a gigantic cluster that “sucks in” all the chaos before we hear a last gasp of rebellion and then only clicks, knocks, and indefinable noise. What remains after this disintegration?

Susteck has called the fourth movement Black Hole. Is this meant literally, as in astrophysics, or metaphorically, to describe a collapse, a definitive ending with no chance of return? What do we experience? Massively condensed sound material as a raging maelstrom. Yet this sound is not completely unmodulated: certain notes are omitted from the cluster – the negative image of a melody, a fading memory no longer signifying anything.

The fifth and last movement is called Infinity. This is not a conclusion, but an open ending with no expectations, since infinity has no form, no temporal or spatial boundaries, none of the things we consider to be elementary conditions for life. Dominik Susteck does not want his ending to be understood in quite so radical a fashion, however: infinity is only the foundation on which a renewal of life is possible. The music ends with the gentlest, most tender sound imaginable: a C-sharp in the triple octave from a resonating wine glass. The composer Georg Katzer once said we should be wary of interpretations of music that are all too specific or even political; music is always primarily music. But there can be no doubt that Susteckʼs Orgellabyrinth was deliberately
composed during a historical period of deep insecurity and uncertain threats. It confronts us with our fears. Can we find a way out?

Iannis Xenakis – Gmeeoorh
Iannis Xenakisʼs Gmeeoorh is unique among the great organ compositions of the twentieth century; it is an elemental sound experience, but at the same time a highly organized, complexly structured composition. Gmeeoorh is Xenakisʼs only work for organ and was composed in 1974, commissioned by The Hartt School of Music at the University of Hartford in Connecticut for their annual festival of new organ music. The work was premiered by Clive Holloway in the South Congregational Church of New Britain, Connecticut on the churchʼs Gress-Miles organ, a fairly large instrument with 81 registers and three manuals. Xenakisʼs meticulously detailed registration instructions refer to this instrument. The composition begins with a single voice moving in intervals of a second. In measure 3 a second line, similar but not identical, is added. Other lines successively join in: the music branches out with a sense of organic growth. Corresponding to this is the extremely complicated and “chaotic” rhythmic aspect of the piece, whose basic organizational element is a 4/4 bar (though not marked as such). This branching out, which Xenakis called “arborescence” – the process underlying the growth of trees – is a basic principle of much of Xenakisʼs music.

In a number of interviews, Xenakis discussed archetypal forms that appear in nature as well as in various arts and sciences: among these are the growth of trees and the formation of clouds. In 1989, he said, “I believe that today this is something we lack: a theory of basic forms. In 20, 30, 40 years, perhaps people will classify such fundamental forms, including their possible applications and expressive constructs in the most various fields of scientific observation and production.” In the case of arborescence, such applications can be found in computer networks, road systems, integrated circuits, power supply networks, chemical molecules, organizational charts, and, not least, in the directory structures (“trees”) of computer operating systems.

In Xenakisʼs composition, this branching process is easily perceived acoustically, at least at the beginning. The web of sound becomes ever more dense before tumbling into the chaos of a passage consisting solely of clusters in which all of the keys and pedals are depressed simultaneously with the help of wooden boards.

This process – the creation of an ever more dense and complicated structure that collapses into chaos – is repeated several times over increasingly long periods of time. In addition to the melodic “arborescence”, other methods of sound organization are also employed: in the form of chord progressions or a two-voice staccato passage above a sustained chord. The final intensification is
notated on four systems and requires chords with as many as eight voices in rapid succession. This is probably unplayable, but the composer allows performers a certain room for maneuver: they should only play as many of the notes as possible (“toutes les notes possible”). Chaos and violence break forth from the civilized façade of the organ (and all other similar highly organized
entities). Gmeeoorh might seem to be the sound of a roaring comic strip animal, but according to the composer it is a distorted anagram of the word “Organon”.

Ingo Dorfmüller
English translation by John Patrick Thomas and Richard Rieves

Quellen/ Sources
Benjamin R. Levy: A Form That Occurs in Many Places – Clouds and
Arborescence in Mycenae Alpha; in: Makis Solomos (Ed.): Proceedings of the
international Symposium Xenakis – La musique électroacoustique / Xenakis. The
Electroacoustic Music (Université de Paris, May 2012)

Zusätzliche Information

GTIN

4025034270232

Marke

Susteck, Dominik (*1977)

Dominik Susteck (*1977 in Bochum) war von 2007-2021 Organist der Kölner Kunst-Station Sankt Peter. Neben Lehrtätigkeit an Hochschulen in Essen, Düsseldorf, Weimar und Köln machte er mit modernen Improvisationskonzerten auf sich aufmerksam. Daneben spielte er zahlreiche Uraufführungen von Werken jüngerer Komponisten (Janson, Odeh-Tamimi, Pena, Froleyks, Köszeghy, Ruttkamp, Seidl, Wozny u.a.). Sein überwiegend auf zeitgenössische Musik ausgerichtetes Repertoire (Herchet, Hölszky, Kagel, Ligeti, Rihm, Stockhausen, Stäbler u.a.) präsentierte er auf mehreren CDs beim Label Wergo und Querstand in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk, zweimal hintereinander erhielt er dafür den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Als Komponist wurde er mit Preisen ausgezeichnet (Deutscher Musikwettbewerb, Klaus-Martin-Ziegler Preis, Schneider Schott Musikpreis Mainz u.a.). Dominik Susteck (*1977 in Bochum) has been organist of the Cologne Art Station Sankt Peter 2007-2021. In addition to teaching at musical colleges in Essen, Düsseldorf, Weimar and Cologne, he has attracted attention with modern improvisational concerts. In addition, he has played numerous world premieres of works by younger composers (Janson, Odeh-Tamimi, Pena, Froleyks, Köszeghy, Ruttkamp, Seidl, Wozny and others). He presented his repertoire, which is predominantly oriented towards contemporary music (Herchet, Hölszky, Kagel, Ligeti, Rihm, Stockhausen, Stäbler and others) on several CDs on the Wergo and Querstand labels in cooperation with Deutschlandfunk, and twice in a row he received the German Record Critics' Award for this. As a composer he has been awarded prizes (German Music Competition, Klaus-Martin-Ziegler Prize, Schneider Schott Music Prize Mainz and others).